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Disclaimer, rechtliche Hinweise

 

 

Patientenleitlinie
Mittelohrentzündung (=Otitis media) bei Kindern

Medizinisches Wissensnetzwerk evidence.de der Universität Witten/Herdecke

Autoren, Quellen, Hintergründe, Gültigkeitsdauer,
Impressum und Copyright dieser Informationen:
Mittelohrentzündung-Quellen

1. Version 11/2002:
Aktualisierte Version Januar 2006, vorliegende Version


Einleitung

    Diese Patientenleitlinie richtet sich an Eltern und Betreuer, deren Kinder an einer akuten, also heftig und meist schnell verlaufenden, Mittelohrentzündung erkrankt sind. Der Aufbau des Ohres, Krankheitszeichen, sowie Untersuchungs- und Behandlungsmethoden werden beschrieben und unter Berücksichtigung aller neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse erklärt. Häufige Fragen, wie zum Beispiel der Umgang mit Antibiotika, werden aufgegriffen und diskutiert. Diese Leitlinie kann jedoch nur eine Zusatzinformation sein, die das Gespräch mit Ihrem Arzt nicht ersetzt.

    Das Vorgehen, das in dieser Patienteninformation empfohlen wird, bezieht sich nicht oder nur unter Vorbehalt auf

    • Fiebernde Kinder unter 3 Monaten
    • Kinder, bei denen vorangegangene Mittelohrentzündungen nicht problemlos abgeheilt sind
    • Kinder mit chronischer, das heißt über mehrere Wochen anhaltender, Mittelohrentzündung
    • Kinder, die an ernsthaften Grunderkrankungen leiden, die das Immunsystem schwächen.
    • Kinder, die wegen einer Erkrankung der Ohren in (fach)ärztlicher Behandlung sind oder waren, beispielsweise zur Anlage von Paukenröhrchen.

     

    Die Inhalte dieser Patientenleitlinie basieren auf einer Leitlinie für Ärzte, die unter www.evidence.de zu finden ist. Beide Leitlinien wurden von einem unabhängigen Expertenteam erstellt.


Gliederung der Kapitel:


1. Definition


1.1 Was ist das Mittelohr und was passiert dort beim Hören?

    Das Ohr besteht aus drei Bereichen: äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr (siehe Grafik). Die Ohrmuschel und der Gehörgang gehören zum äußeren Ohr. Der Schall trifft auf seinem Weg zum Innenohr am Ende des Gehörgangs zunächst auf das Trommelfell und bringt es zum Schwingen. Äußeres Ohr und Mittelohr sind durch das Trommelfell voneinander getrennt. Im luftgefüllten Mittelohrraum befinden sich drei winzige Knöchelchen, die miteinander in Verbindung stehen. Sie sind die „Brücke“ zwischen äußerem Ohr und Innenohr. Durch das schwingende Trommelfell geraten sie ebenfalls in Schwingungen und übertragen so die Schallwellen auf das Innenohr.
    Das Innenohr ist für das eigentliche Hören verantwortlich. Es „übersetzt“ die von außen ankommenden Schallwellen in Informationen, die an das Gehirn weitergeleitet werden können.
    Der Weg des Schalls verläuft also immer über das luftgefüllte Mittelohr, in dem die Gehörknöchelchen frei beweglich sind. Zur Verbesserung der Belüftung gibt es eine Verbindung zwischen dem Mittelohr und dem hinterem Rachenraum, die so genannte Eustach’sche Röhre. Durch diesen schmalen Gang können Flüssigkeit und Schleim aus dem Mittelohr in den Rachenraum ablaufen (siehe
    Grafik). Nur wenn der Mittelohrraum luftgefüllt bleibt, sich dort weder Flüssigkeit noch Schleim ansammeln und die Gehörknöchelchen frei beweglich sind, kann Ihr Kind richtig hören.


    Abbildung: Lage des Mittelohrs im Querschnitt


1.2 Was ist eine Mittelohrentzündung?

    Die akute Mittelohrentzündung ist eine der häufigsten Erkrankungen im Kindesalter. „Akut“ bedeutet: plötzlich einsetzend und heftig, aber schnell verlaufend (abheilend). Diese Art der Mittelohrentzündung tritt verstärkt im Winterhalbjahr auf. Kinder, die daran erkranken, waren meistens vorher erkältet.
    Durch Bakterien (in etwa 60 Prozent der Fälle) oder Viren (in etwa 40 Prozent der Fälle) kommt es zu einer Entzündung im Mittelohr. Die Entzündungsreaktion ist eine Möglichkeit des Körpers Viren, Bakterien und andere schädliche Stoffe zu bekämpfen. Dieser „Abwehr-Kampf“ macht sich durch Schmerzen, Rötung, Erwärmung und Schwellung der Haut oder Schleimhaut bemerkbar. Die Schwellung der Schleimhaut betrifft bei der Mittelohrentzündung häufig auch den Gang, der Mittelohr und Rachen miteinander verbindet (siehe
    1.1). Schwillt dieser Gang zu, können Flüssigkeit und Schleim nicht mehr abfließen und sammeln sich im Mittelohr an (siehe 1.1). Wird der Druck im Mittelohr zu hoch, kann sich ein Riss im Trommelfell bilden und die entzündliche Flüssigkeit läuft nach außen ab. Meistens lassen die Schmerzen dann deutlich nach. Ein solcher Riss im Trommelfell wächst normalerweise problemlos wieder zu.
    Eine akute Mittelohrentzündung ist zwar sehr schmerzhaft, aber - bei richtiger Behandlung und Beobachtung – meistens schnell abgeheilt und vergessen.


2. Ursachen, Häufigkeit und Risiken


2.1 Ist eine Mittelohrentzündung gefährlich?

    Eine akute Entzündung (siehe 1.2), die sich auf das Mittelohr beschränkt, ist zwar schmerzhaft, sie heilt jedoch bei richtiger Beobachtung und Behandlung des Kindes normalerweise komplikationslos wieder ab. Da keine direkte, offene Verbindung zwischen äußerem Ohr, Mittelohr und Innenohr besteht, breitet sich die Entzündung in den meisten Fällen nicht weiter auf die umliegenden Teile des Ohres oder des Schädelknochens (z.B. auf das ohrnahe Schläfenbein) aus. Eine gewissenhafte Beobachtung und Behandlung des Kindes in Absprache mit ihrem Kinderarzt oder dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist jedoch absolut notwendig. Auch wenn es zu einer Ausbreitung der Entzündung über das Mittelohr hinaus kommt, gibt es erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeiten. Eine solche Ausbreitung muss jedoch frühzeitig erkannt werden.

    Warnhinweise, bei deren Auftreten der Arzt aufgesucht werden muss:

    Allgemeine Krankheitszeichen:

    • Keine deutliche Besserung des Gesundheitszustandes - trotz ärztlicher Behandlung - nach 2 - 3 Tagen
    • Anhaltendes Erbrechen
    • Andauerndes, sehr hohes Fieber
    • Krampfanfall
    • Bewusstseinsstörungen

    Auffälligkeiten am Ohr und in Ohrnähe:

    • Erneute Zunahme der Schmerzen und des Ohrflusses
    • Schwellung hinter der Ohrmuschel (macht sich manchmal durch Abstehen des Ohres bemerkbar)
    • Schmerzen hinter der Ohrmuschel (vor allem bei vorsichtigem Beklopfen des Knochens)
    • Lähmung der Gesichtsmuskeln (macht sich durch „verzogene Mimik“ bemerkbar)


2.2 Gibt es auch Flüssigkeit im Mittelohrraum ohne Entzündung?

    Wenn sich Flüssigkeit im Mittelohr ansammelt, steckt meistens eine Entzündung dahinter. Es gibt jedoch nicht nur einen akuten, also heftigen und schnellen, sondern auch einen schleichenden, chronischen Entzündungsverlauf. Eine Mittelohrentzündung, die länger als drei Monate anhält, nennt man chronisch. Bei einer chronischen Mittelohrentzündung hat Ihr Kind meistens keine heftigen Schmerzen. Aufmerksam werden muss man eher, wenn das Ohr immer wieder „läuft“ oder Ihr Kind schlechter hört. Beides spricht für eine chronische, also schleichende Entzündung, die zwar nicht so weh tut, in deren Verlauf sich aber immer wieder Flüssigkeit im Mittelohr ansammelt.
    Eine ständige Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr muss unbedingt behandelt werden. Sonst ist nicht nur das Ohr selber, sondern auch das Hörvermögen Ihres Kindes Gefährdet. Bei Kleinkindern betrifft dies die gesamte Hör- und Sprachentwicklung. Dies gilt besonders für Kleinkinder, die gerade Sprechen lernen.


2.3 Wer ist/welche Kinder sind besonders gefährdet?

    Es gibt Kinder, die besonders gefährdet sind eine Mittelohrentzündung zu bekommen. In solchen Fällen könnten einer oder mehrere der folgenden  Risikofaktoren vorliegen:

    1. Äußere Umstände, denen das Kind ausgesetzt sein kann:

    • Täglicher Kontakt mit anderen Kindern:
      Bei einer Tagesbetreuung außerhalb der Familie, in Kindergärten und Tagesstätten kommt Ihr Kind mit vielen Krankheitserregern (Bakterien und Viren) in
      Kontakt.
    • Mittelohrentzündung bei anderen Familienmitgliedern
    • Rauchende Familienmitglieder:
      Kinder, die häufig Zigarettenrauch ausgesetzt sind, leiden nicht nur häufiger an Mittelohrentzündung, sondern bekommen auch öfter Husten, Schnupfen und Bronchitis als andere Kinder.
    • Gebrauch von Schnullern:
      Ärzte, die viele Kinder mit Mittelohrentzündung beobachtet und verglichen haben, fanden heraus, dass Kinder, die ständig am Schnuller nuckeln, häufiger an Mittelohrentzündung erkranken. Bei der gleichen Beobachtung fiel auch auf, dass Kinder, die in den ersten drei Lebensmonaten mit Muttermilch gestillt wurden, seltener an Mittelohrentzündung erkranken.

    2. Individuelle Ursachen

      Wenn Ihr Kind immer wieder eine Mittelohrentzündung bekommt, kann es auch sein, dass der Abfluss vom Mittelohr in den hinteren Rachenraum (siehe 1.1) gestört ist. Große Rachenmandeln oder ständige Halsentzündungen können zum Beispiel dazu führen, dass der schmale Gang zwischen Mittelohr und Rachenraum zuschwillt oder blockiert wird. Auch bei Kindern, die mit angeborenen Veränderungen im Rachenbereich leben (z.B. Gaumenspalten), wird die Belüftung des Mittelohres und der Abfluss von Flüssigkeit aus dem Mittelohr gestört.


3. Krankheitszeichen


3.1 Auf welche Krankheitszeichen muss ich bei meinem Kind achten?

    Sehr oft kann man folgenden Ablauf beobachten: Ihr Kind hat eine harmlose Erkältung, die gerade wieder abheilt. Plötzlich wird es quengelig, appetitlos und klagt häufig zunächst über Kopf- oder sogar Bauchschmerzen. Die Ohrenschmerzen selber beginnen oft nachts oder abends. Im weiteren Verlauf kann auch Fieber auftreten.
    Gerade kleinere Kinder können meistens nicht sagen, wo genau es weh tut. Dann müssen auch allgemeine Krankheitszeichen wie Reizbarkeit, Fieber, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit oder sogar Bauchschmerzen an eine Mittelohrentzündung denken lassen.
    Oft fällt auf, dass das Kind auf einem oder beiden Ohren nicht richtig hört. Das liegt an der Flüssigkeits- oder Schleimansammlung im Mittelohr (siehe
    2.1). „Läuft“ das Ohr und lässt der Schmerz zunächst nach, so hat sich ein Riss im Trommelfell gebildet, durch den Flüssigkeit oder Schleim ablaufen (siehe 2.1).
    Langanhaltendes Erbrechen gehört nicht zu einer einfachen Mittelohrentzündung (siehe auch Warnhinweis).


3.2 Wann muss ich mit meinem Kind zum Arzt gehen?

    Wenn Sie aufgrund der unter 3.1 genannten Krankheitszeichen das Gefühl haben, dass Ihr Kind eine Mittelohrentzündung hat, sollten Sie auf jeden Fall den Arzt aufsuchen. Dies muss jedoch nicht notfallmäßig geschehen, wie zum Beispiel mitten in der Nacht. Obwohl Ihr Kind unter Umständen starke Schmerzen hat, besteht normalerweise keine akute Gefahr. Um die Zeit bis zum Arztbesuch zu überbrücken können Sie auch selber etwas gegen die Schmerzen und das Fieber tun (Schmerz- und fieberlindernde Maßnahmen siehe 4.3 und 5.1).
    Wenn Ihr Kind tatsächlich eine Mittelohrentzündung hat, muss die richtige Behandlung eingeleitet werden und das weitere Vorgehen mit Ihnen besprochen werden. Wenn keine Mittelohrentzündung vorliegt, muss der Arzt herausfinden, was für die Schmerzen Ihres Kindes verantwortlich ist.


4. Beim Arzt


4.1 Welche Untersuchungen werden beim Arzt gemacht?

    Eine Befragung der Eltern und wenn möglich des Kindes, eine Untersuchung des Halses, des Kopfes, beider Ohren und das Messen der Körpertemperatur reicht meistens schon aus, um den Verdacht auf eine Mittelohrentzündung zu bestätigen. Zur Untersuchung des Ohres gehört auch die Ohrenspiegelung mit dem Otoskop. Einen genaueren Eindruck von der Funktionstüchtigkeit des Mittelohres bekommt man, wenn man die Beweglichkeit des Trommelfelles misst (Tympanometrie). Zum Ausschluss anderer Erkrankungen gehört die komplette körperliche Untersuchung des Kindes (also auch Herz und Lunge abhören und den Bauch untersuchen). Ein Aufschneiden des Trommelfells durch die so genannte Parazentese (siehe 4.4), um Flüssigkeit abzuleiten und Krankheitserreger darin nachzuweisen, ist normalerweise nicht notwendig.


4.1.1 Befragung (Anamnese) und körperliche Untersuchung:

    Der Arzt fragt Sie oder Ihr Kind nach

    • den Schmerzen und deren Auftreten (seit wann? wann besonders stark? wo genau?),
    • den Begleitumständen (Hat Ihr Kind auch erbrochen? Hat Ihr Kind Fieber?) und
    • nach früheren Erkrankungen (Hatte Ihr Kind schon einmal eine Mittelohrentzündung? Und wie ist sie damals verlaufen?).

    Um den richtigen Eindruck vom momentanen Zustand Ihres Kindes zu bekommen und um andere Erkrankungen auszuschließen, wird der Arzt nicht nur die Ohren, sondern den gesamten Kopf, die Augen und den Hals Ihres Kindes untersuchen, Herz und Lungen abhören, den Bauch untersuchen und vielleicht sogar die Reflexe prüfen.


4.1.2 Ohrspiegelung (Otoskopie)

    Mit dem Ohrenspiegel kann der Arzt in den äußeren Gehörgang schauen und diesen bis zum Trommelfell genau beurteilen. Wie unter 1.1 beschrieben sind äußerer Gehörgang und Mittelohr durch das Trommelfell voneinander getrennt (siehe auch Grafik). Flüssigkeit und Schleim aus dem entzündeten Mittelohr können nur in den Gehörgang gelangen, wenn sich ein Riss im Trommelfell gebildet hat. Ein solcher Riss oder andere Verletzungen und Veränderungen des Trommelfells sind mit Hilfe des Ohrenspiegels zu sehen. Auch eine Flüssigkeitsansammlung hinter dem intakten Trommelfell (also im Mittelohr) kann Ihr Arzt auf diese Weise erkennen.
    Beim Spiegeln der Ohren ist es wichtig, dass das Kind den Kopf ganz still hält. Dies funktioniert meistens am besten auf dem Schoß oder dem Arm der Eltern.


4.1.3 Tympanometrie (Messung der Beweglichkeit des Trommelfelles)

    Bei der Tympanometrie wird die Beweglichkeit des Trommelfells geprüft. Dafür wird mit einer Sonde ein paar Sekunden lang im äußeren Gehörgang gemessen.


4.2 Muss immer eine Nachuntersuchung stattfinden?

    Ja. Wenn Ihr Kind eine Mittelohrentzündung hatte, sollte der Arzt nach 3-4 Wochen nachschauen, ob alles gut verheilt ist und weder Ohr noch Hörfähigkeit gelitten haben. Dazu gehört auch ein Hörtest. Achten Sie auch selber nach einer Mittelohrentzündung darauf, ob Ihr Kind noch genauso gut hört wie vorher.


4.3 Welche Medikamente sind sinnvoll?


4.3.1 Medikamente gegen Schmerz und Fieber

    Als probates Mittel erweisen sich in solchen Fällen Paracetamol-Zäpfchen. Sie bekämpfen die Schmerzen und senken gleichzeitig das Fieber. Wenn Ihr Kind nachts plötzlich wegen starker Ohrenschmerzen aufwacht, können Sie die Zeit bis zum Morgen und zum Arztbesuch mit der Gabe von Paracetamol-Zäpfchen überbrücken. Halten Sie sich dabei aber unbedingt an die in der Packungsbeilage empfohlene Mengenangabe. Schmerzmittel wie Paracetamol-Zäpfchen lindern zwar Schmerzen und senken Fieber, so dass es Ihrem Kind meistens besser geht, sie beschleunigen die eigentliche Heilung des Ohres jedoch nicht.
    Vorsicht: Acetylsalicylsäure-haltige Medikamente (z.B. Aspirin, ASS etc.) sollten Sie einem fiebernden Kind unter keinen Umständen geben. Sie können bei Kindern eine seltene, aber gefährliche Krankheit, das so genannte Reye Syndrom, auslösen.
    Grundsätzlich können alle Medikamente, auch „harmlose“ Fieberzäpfchen, bei manchen Kindern Allergien, mit zum Teil schwerwiegenden Folgen, auslösen. Vor jeder Medikamentengabe sollte daher immer überlegt werden, ob sie wirklich notwendig ist.


4.3.2 Ohrentropfen

    Ohrentropfen sind bei einer normalen Mittelohrentzündung nicht sinnvoll, da sie das Trommelfell nicht durchdringen und damit gar nicht bis in das Mittelohr gelangen (Aufbau des Ohres siehe 1.1).


4.3.3 Nasentropfen

    Abschwellende Nasentropfen ( z.B. Xylometazolin) sollen die Belüftung des Mittelohres wieder herstellen (siehe 1.1). Es gibt jedoch keine Untersuchung die nachweist, dass sie die Heilung begünstigen.


4.3.4 Antibiotika: Für und Wider

    Wie unter 1.1 beschrieben, werden etwa 60 Prozent der akuten Mittelohrentzündungen durch Bakterien und etwa 40 Prozent durch Viren ausgelöst. Antibiotika können zur Bekämpfung von Bakterien, nicht aber von Viren eingesetzt werden. Bei der Behandlung von Mittelohrentzündungen hat sich gezeigt, dass schwierige Verläufe (z.B. Ausbreitung der Entzündung auf den Schädelknochen oder Hörverlust) durch die Behandlung mit Antibiotika nicht vollständig verhindert werden konnten. Kinder, die keine Antibiotika einnehmen, haben nahezu genauso selten mit ernsthaften Folgen von Mittelohrentzündungen zu kämpfen, wie Kinder, die von Anfang an mit Antibiotika behandelt werden.
    Auch die Dauer der Krankheit lässt sich durch Antibiotika allenfalls um einen Tag verkürzen. Aber die Behandlung mit Antibiotika kann ihrerseits zu Übelkeit, Erbrechen, Hautausschlag oder Durchfall führen.

    Die Gabe von Antibiotika bei Kindern mit Mittelohrentzündung will also wohl überlegt sein.
    Auf Antibiotika kann verzichtet werden, wenn:

    • es sich um eine umkomplizierte Mittelohrentzündung handelt (also keine ernsthaften Begleiterkrankungen wie sehr hohes Fieber, andauerndes Erbrechen oder Krampfanfälle vorliegen) und
    • Eltern und Arzt gut zusammen arbeiten!

    Haben sich die Beschwerden innerhalb von 36-48 Stunden nicht gebessert, muss das Kind unbedingt dem Arzt wieder vorgestellt werden, die Situation neu überdacht werden und gegebenenfalls doch ein Antibiotikum eingesetzt werden. Kinder unter zwei Jahren sollten schon nach 24 Stunden ein zweites Mal vom Arzt gesehen werden.
    Antibiotika bekämpfen die Krankheitserreger und verhindern, dass diese sich weiter ausbreiten. Sie helfen damit aber nur indirekt gegen Schmerzen oder gegen Fieber. Die Wirkung der Antibiotika setzt nicht sofort ein. Auch die häufig zusätzlich vorliegende Erkältung oder Grippe heilt nicht schneller ab.

    Das individuelle Vorgehen bei Ihrem Kind sollten Sie mit Ihrem Kinderarzt oder Hals-Nasen-Ohren-Arzt besprechen. Wenn ein Antibiotikum eingesetzt wird, sollten Sie und Ihr Kind die Einnahme aber unbedingt über den gesamten vorgeschriebenen Zeitraum durchhalten. Dies sind normalerweise 5-7 Tage. Meistens geht es Ihrem Kind schon nach 2-3 Tagen besser. Geben Sie das Antibiotikum aber trotzdem weiter. Die Bakterien sind nach 2-3 Tagen noch nicht vollständig bekämpft. Die „übriggebliebenen“ Bakterien können sich unter Umständen an das Antibiotikum „gewöhnen“ und beim nächsten Mal nicht mehr durch diesen Stoff bekämpft werden. Ihr Arzt spricht davon, dass die Bakterien gegen ein bestimmtes Antibiotikum resistent sind. Diese Resistenzbildung gilt es, im Interesse Ihres Kindes, zu verhindern.
    Wenn die Antibiotika Nebenwirkungen, besonders Allergien, verursachen muss der Arzt entscheiden, ob die Gabe beendet werden kann oder ob ein anderes Antibiotikum ausgewählt wird.


4.4 Was ist eine Parazentese?

    Die Parazentese (auch Tympanozentese oder Myringotomie genannt) ist ein Trommelfellschnitt. Im unteren Bereich des Trommelfells wird ein kleiner Einschnitt gemacht damit sich die dahinter liegende Flüssigkeit aus dem Mittelohrraum entleeren kann. Kindern, die über einen längeren Zeitraum an einer Flüssigkeitsansammlung im Mittelohrraum leiden, kann damit kurzfristig geholfen werden. Langfristig sollte natürlich die eigentliche Ursache für die Flüssigkeitsansammlung gefunden und behandelt werden. Die gewonnene Flüssigkeit kann ins Labor geschickt werden. Dort wird untersucht, um welche Krankheitserreger (Bakterien- oder Virengruppen) es sich im einzelnen handelt, um ggf. eine spezielle Behandlung einzuleiten. Ein Trommelfellschnitt wächst von selber wieder zu.


5. Was kann ich selber tun?


5.1 Welche allgemeinen Maßnahmen tun meinem Kind gut?

    Kranke Kinder, besonders wenn Sie Fieber haben, brauchen viel Flüssigkeit. Das ist auch bei einer Mittelohrentzündung nicht anders. Achten Sie darauf, dass Ihr Kind genug trinkt. Wenn es die „gesunden“ Getränke vehement ablehnt, darf es auch schon mal das Lieblingsgetränk sein. Bedenken Sie jedoch, dass Cola-Getränke Koffein enthalten.

    Viele Eltern berichten über den erfolgreichen Einsatz von alternativen Medikamenten und Maßnahmen wie zum Beispiel Zwiebel- oder Kamillesäckchen für die Ohren sowie Wadenwickel bei Fieber. Die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser Maßnahme wurde zwar durch individuelle Erfahrungen bestätigt, bisher jedoch nicht wissenschaftlich untersucht:

    Zwiebel- oder Kamillesäckchen:
    Gehackte Zwiebelstückchen werden in einem Säckchen aus dünnem Stoff mehrmals täglich für etwa eine halbe Stunde auf das schmerzende Ohr gelegt, mit wärmender Wolle oder Watte abgedeckt und mit einer Mütze oder einem um den Kopf gewickelten Tuch befestigt.

    Wadenwickel bei Fieber:
    Vorsicht, bei kalten Beinen oder Füßen auch bei hohem Fieber nie kühle Wickel anlegen! Bei Fieber können Tücher in Wasser, das etwas kälter als die Körpertemperatur ist, getränkt, ausgewrungen, und vom Knöchel bis zum Knie um die Beine gewickelt werden. Das Kind wird trotzdem wieder zugedeckt und die warm gewordenen Tücher werden etwa drei Mal erneuert. Auf keinen Fall die Beine mit wasserdichten Folien umwickeln!

    Wärme (z.B. Rotlicht):
    Wärme am entzündeten, schmerzenden Ohr tut vielen Kindern gut. Auch die Wirksamkeit dieser Behandlung wurde zwar oft beschrieben, jedoch nie in wissenschaftlichen Beobachtungsreihen nachgewiesen.


5.2 Wie lange muss mein Kind zu Hause bleiben?

    Die Frage, ob Ihr Kind wieder schwimmen oder in Schule oder Kindergarten gehen darf, kann im individuellen Fall nur der Arzt beurteilen, der Ihr Kind kennt und ggf. nachuntersucht. Generell ist folgendes zu bedenken. Gerade nach einer heftigen Mittelohrentzündung, sind beim Abklingen von Schmerz und Fieber die Folgen der Entzündung oft noch gar nicht abgeheilt. Es kann gut sein, dass sich Ihr Kind wieder gesund fühlt, es aber trotzdem noch ein- oder zwei Tage Ruhe braucht, um wieder „richtig“ gesund zu werden. Wenn eine Hörminderung mehr als drei Monate anhält, sollte das Kind nochmals beim Arzt vorgestellt werden.


5.3 Wie kann man vorbeugen?

    Beachten Sie die unter 2.3 beschriebenen äußeren Umstände und prüfen Sie, ob Ihr Kind zum Beispiel häufig Zigarettenrauch ausgesetzt ist, oder zu viel am Schnuller nuckelt. Auch das Zusammensein mit anderen Kindern erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mittelohrentzündung auftritt. Ihr Kind deshalb von anderen Kindern fernzuhalten, ist jedoch für seine Entwicklung insgesamt eher schädlich als förderlich.
    Das Stillen des Säuglings in den ersten drei Lebensmonaten ist nicht nur für die allgemeine Entwicklung des Kindes von Bedeutung, es beugt auch ganz speziell späteren Mittelohrentzündungen vor.


6. Zusammenfassung

Eine akute Mittelohrentzündung

  • verläuft meistens heftig und schnell
     
  • breitet sich normalerweise nicht über das Mittelohr hinaus aus
     
  • ist zwar schmerzhaft, heilt aber unter gewissenhafter Beobachtung und guter Behandlung normalerweise folgenlos ab
     
  • tritt meistens nach einer Erkältung oder Grippe auf
     
  • kann mit einem Riss im Trommelfell einhergehen, über den entzündliche Flüssigkeit abläuft und der von selbst wieder zu heilt
     
  • kann, muss aber nicht mit schmerz- und fieberlindernden Zäpfchen und Antibiotika behandelt werden
     
  • kann ohne Antibiotika behandelt werden, wenn keine erschwerenden Umstände vorliegen und Eltern und Arzt gut zusammen arbeiten
     
  • tritt bei Kindern, die Zigarettenrauch ausgesetzt sind und am Schnuller nuckeln, häufiger auf

 


Autoren, Quellen, Hintergründe, Gültigkeitsdauer,
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